Ich frage mich, warum ich das eigentlich machen will. Ich wünschte ich hätte eine Antwort parat, aber die Wahrheit ist, dass ich es eigentlich nicht so genau weiss. Der Wunsch reisen zu gehen, ist schon lange da. Vermutlich eine Mischung aus Neugier und Mainstream. Jeder geht heute auf Reisen, um sich selbst zu finden, um den Horizont zu erweitern, um den tieferen Sinn des Lebens zu suchen oder so etwas in der Art. Ich will vor allem eine andere Art des Lebens sehen. Vielleicht will ich überprüfen, ob der Sinn des Lebens tatsächlich einfach in möglichst vielen Erlebnissen steckt. Vielleicht hat es aber auch mit der Frage zu tun was Freiheit ist und bedeutet. Und wenn der Begriff mal definiert ist, ob Freiheit denn tatsächlich erstrebenswert ist. Für mein Empfinden oder besser Vorstellung von Freiheit ist eine Reise, allein ohne Verpflichtung und Druck das nächste was an die Beantwortung dieser Frage kommt. Bevor ich mich entscheide, wohin es geht und mit was ich mein Leben füllen will, will ich eine zweite Meinung, eine zweite Perspektive einholen.
Irgendwo zwischen hier und dort wandern diese Gedanken durch meinen Kopf.
Noch 1 Stunde. Meine Aufregung steigt wieder. Bald erreiche ich mein Ziel. Ich mache mir schon wieder 1000 Gedanken, was alles schief gehen könnte. Doch die Einreise stellt sich dann als relativ einfach heraus. Monfared, persischer Immobilienmakler aus Wien und der erste Mensch, mit dem ich beim Anstehen am Zürich Flughafen ein Wort gewechselt habe, begleitet mich beim Aussteigen. Schon nach dem Einsteigen, hat er mir seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Als wir über den Flugplatz laufen, bietet er mir noch mal explizit seine Hilfe an. Ich solle einfach anrufen, wenn ich ein Problem in Havanna habe, er habe dort gute Freunde. Es fühlt sich gut an im Notfall jemanden anrufen zu können. Obwohl ich doch auch ein bisschen vorsichtig bin, schliesslich kennen wir uns nicht wirklich. Vielleicht liegt es auch an seinem dunklen Anzug und den nach hinten gegelten Haaren, die doch ein bisschen an einen Mafia-Boss erinnern.
Am Ausgang werde ich bereits von Pédro erwartet. Der Taxifahrer, der mich zu meiner ersten Unterkunft bringt. Er ist braungebrannt, mitte dreissig schätze ich und begrüsst mich herzlich. Sein Englisch ist gebrochen und mein Spanisch leider nicht vorhanden, weshalb sich unsere Gespräche kurzhalten. Pédro führt mich zu einem alten gelben Taxi. Durch die Frontscheibe verläuft ein Sprung und als ich mich angurten will, lacht er kurz und meint: «willkommen in Kuba, hier gibt es oft keine Gurte». Na gut, dann eben ohne. Auf der Strasse sind tatsächlich hauptsächlich alte Autos unterwegs und man fühlt sich, als wäre man in der Zeit zurückgereist. Irgendwie charmant, aber viele fahren nicht freiwillig mit halbkaputten Autos herum, sondern, weil sie sich kein anderes leisten können, oder keine anderen Autos vorhanden sind. Darum erscheint es mir ein bisschen arrogant das ganze Ambiente als «romantisch» zu beschreiben. Pédro schaltet das Radio ein und kurz darauf ertönt «Havanna» von Camilla Cabello aus den Lautsprechern. Jetzt bin ich also einfach so in Havanna. Alles was ich kenne ist weit weg. Doch für den Moment schaue ich aus dem offenen Fenster und geniesse einfach den ersten Augenblick in diesem lauten und bunten Land.
Die Fahrt vom Flughafen in meine Casa Particulare (so eine Art kubanisches AirBnB) dauert 45 Minuten. Dann halten wir in der Industria 120, meinem Zuhause für die nächsten fünf Tage. Wir werden von Alejandro in Empfang genommen. Er scheint sowas wie der Nachtwächter zu sein. Sein Englisch ist gut und er führt mich eine schmale Treppe hinauf vorbei an einem Zimmer, dass wie ein Wohnzimmer aussieht. Noch eine Treppe weiter oben, befindet sich mein Zimmer. Als erstes fällt mir das grosse Bett mitten im Raum auf. Die Wände sind gelb gestrichen. Ich bin zufrieden mit dem ersten Eindruck. Nachdem ich mein Gepäck oben abgeladen habe, führt mich Alejandro zurück nach unten in das Wohnzimmer, das wohl auch eine Art Empfang darstellt. Er erklärt mir ein paar Dinge, warnt mich eine Tasche mitzunehmen in den Strassen von Havanna und fragt mich, wann ich morgen Frühstücken will. Nach dieser kurzen Unterredung setzte ich mich erstmal auf das Bett und atme tief aus. Ich merke, wie müde ich bin. Und hungrig. Aber für heute habe ich meine Komfortzone schon genug verlassen. Die Strassen von Havanna werde ich morgen bei Tageslicht in Angriff nehmen.